Die große Illusion. Simon Grünewald – Patriot – Jude – Deutscher (2013)
16. September 2021

Die Ausstellung erzählt von Simon Grünewald, Lehrer und Kantor der Synagogengemeinde Siegen. Sie erzählt gleichzeitig aber auch von der hiesigen jüdischen Gemeinde, die konservativ und kaisertreu der Überzeugung war, eine feste Haltung zum Vaterland reiche aus, um Menschen jüdischen Glaubens in den Augen der christlichen Mehrheitsgesellschaft zu einem deutschen Staatsbürger und Siegerländer zu machen. Eine Illusion, wie sich herausstellen sollte.

Simon Grünewald

Simon Grünewald wurde am 2. Mai 1870 in Pömbsen bei Bad Driburg geboren.

Die Ausbildung zum Lehrer erhielt Grünewald an der Marks-Haindorf-Stiftung in Münster. Im Sommer 1889 legte er die Erste Lehrerprüfung ab. Die Zweite Lehrerprüfung bestand er Ende Oktober 1893 am „Königlichen evangelischen Schullehrer Seminar“ in Soest. Die ersten Anstellungen von zwei bzw. sechs Jahren Dauer erhielt er in Enger bei Herford und in Geseke im Kreis Soest, wo er jeweils, wie später in Siegen, einziger Lehrer einer jüdischen Volksschule war.

1896 heirateten Simon Grünewald und die 1872 in Peckelsheim bei Warburg geborene Johanna Meyer. Das Ehepaar Simon und Johanna Grünewald hatte drei Kinder. Der Sohn Heinrich wurde 1898 geboren, die Tochter Elfriede 1907. Der zweite Sohn Otto starb als Kind 1901 im Alter von eineinhalb Jahren.

Ab dem 1. Mai 1897 war Grünewald Lehrer, Prediger und Kantor in Siegen. Der Lehr- und Betraum in einem Privathaus wurde für die wachsende Jüdische Gemeinde zu klein. Am Obergraben wurde mit dem Bau der Synagoge begonnen. Zur Grundsteinlegung im Sommer 1903 hielt Grünewald die Festrede.

Wegen geringer Schülerzahlen in der Jüdischen Schule und vor allem wegen des Lehrermangels an den evangelischen und katholischen Schulen der Stadt während des Ersten Weltkrieges wurde 1915 der Unterricht der Jüdischen Schule eingestellt. Grünewald wechselte an die Evangelische Stadtschule. Hier unterrichtete er bis zu seiner durch Krankheit bedingten vorzeitigen Pensionierung am 20. März 1930.

Neben mehreren Aufsätzen für die Siegener Zeitung verfasste Grünewald für die Festschrift zum 30. Provinzial-Lehrertag 1907 in Siegen den Beitrag „Die Entwicklung des Schulwesens in Siegen“. Das 1914 herausgegebene „Siegerländer Heimatbuch“ enthält seinen Aufsatz „Das Realgymnasium, das Lyzeum und die Fortbildungsschulen in Siegen“. Mitten im Ersten Weltkrieg veröffentlichte Simon Grünewald 1915 seine „Kriegsgedichte“, mit denen er sich ganz im Sinn der damaligen Zeit als guter Deutscher erweisen wollte.

Schon die „Judenzählung“ von 1916 und der mit dem Ende des Ersten Weltkrieges wieder auflebende starke Antisemitismus bewirkten bei Simon Grünewald einen Sinneswandel. Er war 1920 in Plettenberg Mitbegründer der Bezirksgruppe Südwestfalen des „Centralvereins Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“.

Im Juli 1936 gestaltete Grünewald den Festgottesdienst zum 50-jährigen Bestehen der Synagoge in seinem Geburtsort Pömbsen.

Am Mittag des 10. November 1938 musste Grünewald die Zerstörung der Synagoge Siegen miterleben. Die Synagoge, zu deren Grundsteinlegung er 1903 die Festrede hielt, die Synagoge, an der er 34 Jahre lang als Prediger und Kantor tätig war, wurde von Nationalsozialisten vorsätzlich in Brand gesteckt.

Mit Hilfe ihrer Kinder Heinrich und Elfriede und deren Familien gelang Johanna und Simon Grünewald im Juni 1939 die Flucht in die USA. Wenige Monate nach der Ankunft in New York starb Simon Grünewald am 4. Dezember 1939 an Krebs.

Der Verlag der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e. V. in Siegen gab 2012 die von Hartmut Prange verfasste Dokumentation „Simon Grünewald – Lehrer, Prediger und Kantor in Siegen“ heraus. Klaus Dietermann, Klaus Merklein und Hartmut Prange bereiteten auf der Grundlage dieser Schrift eine Ausstellung vor. Die Ausstellung „Die große Illusion. Simon Grünewald – Patriot – Jude – Deutscher“ wurde am 27. Januar 2013 im Aktiven Museum eröffnet. Leben und Wirken Simon Grünewalds wurden im Kontext der Geschehnisse seiner Zeit gezeigt. Die Biografien von Soldaten der Synagogengemeinde Siegen im Ersten Weltkrieg und die Auswirkungen des Antisemitismus in der Weimarer Republik wurden ebenso thematisiert wie die zunehmende Entrechtung der Bevölkerung jüdischen Glaubens während der Zeit des Nationalsozialismus.